Test: Santa Cruz V10 CC 2015
- Mathias
- 14. Nov. 2015
- 4 Min. Lesezeit
Ja, ich habe ihn mir erfüllt, den feuchten Traum vieler Gravity Biker. Nachdem ich unzählige Male das Presenter-Video von Santa Cruz angeschaut habe, in dem Ratboy & Co. auf ihrem neuen 650B-Todesstuhl gen Tal reiten (siehe unten), habe ich im Mai kurzentschlossen zum Hörer gegriffen und beim Radladen des Vertrauens den heißesten Scheiß geordert, den man zu diesem Zeitpunkt für Geld bekommen konnte.
Wieviel körperliche Schmerzen es mir bereitet hat, meinen Kontostand nach dem Kauf zu checken und wie oft ich die Mobilbanking-App einfach schnell wieder zugemacht habe, will ich euch ersparen. Viel mehr sollt ihr wissen, wie sich der Bryceland unter den Joshs fährt und wann ihr besser die Finger von ihm lassen solltet.

Seit Juni 2015 war ich mit dem Nomad auf verschiedensten Downhill-Strecken und Bikeparks in Europa unterwegs.
Mit dem Öffnen des Kartons beim Händler war klar: Mit dem Bike wird es mir schwer fallen unter dem Radar zu blieben. Jeder Fahrfehler im Bikepark wird auffallen. Schließlich erwartet man von einem V10 Fahrer die kinoreifen Fahrkünste eines Santa Cruz Syndicate Fahrers. Aus diesem Grund war ich im zweiten Moment auch garnicht so traurig darüber, dass statt der bestellten Team-Lackierung, das etwas dezentere Pendant in schwarz zum Vorschein kam.
Austattung:
Die Ausstattung habe ich so zusammengestellt, dass ich möglichst reibungslos zwischen meinem Enduro und dem Downhiller wechseln kann. Sprich: Lenker, Griffe, Bremsen, Reifen, Pedale sind identisch mit dem kleinen Bruder.
Rahmen: Santa Cruz V10 CC, Gr. M
Gabel: Rock Shox Boxxer Worldcup
Dämpfer: Rock Shox Vivid Air
Kettenführung: E13 LG1r
Schaltwerk: SRAM X01 DH 7-fach
Schalthebel: SRAM X01 DH 7-fach
Kurbel: SRAM X01 DH 165mm 36t
Kassette: SRAM X01 DH 7-fach
Kette: SRAM X1 11-fach
Bremsen: SRAM Guide RSC 200mm vorne 180mm hinten
Steuersatz: Cane Creek 40
Lenker: ENVE DH Carbon 800mm
Vorbau: Syntace F44
Griffe: Ergon GE1 slim
Laufräder: DT Swiss FR1950 Classic
Reifen vorne: Schwalbe Magic Mary SG Vertstar
Reifen hinten: Maxxis Highroller 2 DH Super Tacky
Sattelstütze: ENVE Carbon
Sattle: Ergon SME3
Pedale: Shimano XTR Trail
Gewicht: 14,9kg inkl. Pedale
Auf dem Trail:
Die Jungfernfahrt fand im Bikepark Lac Blanc statt. Da ich eine Woche vorher schon mit dem Nomad zugegen war, konnte ich mich gleich auf die Performance des Bikes konzentrieren, statt mir erstmal die Linien einprägen zu müssen.
Was gleich zu Beginn auffällt ist, wie gut das Bike auf Antritte reagiert. Je härter man reinritt, desto stärker verhärtet der Hinterbau und setzt die investierte Energie ohne Umwege in Vortrieb um. Andere Downhiller sacken hier ein und scheinen mit gezogener Handbremse zu beschleunigen. Ganz anders das V10 - hier geht's hemmungslos nach vorne. VPP sei Dank.
Generell ist das Bike geprägt von seiner Hinterbaukinematik. VPP will mit vergleichsweise viel SAG gefahren werden. Das Hinterrad hat in praktisch jeder Situation Kontakt mit dem Boden und erzeugt Grip. Gleichzeitig sorgt die konstruktionsbedingt starke Endprogression dafür, dass Durchschläge des Dämpfers kein Thema sind.
In schnellen, verblockten Passagen vermittelt das Bike enorm viel Sicherheit. Fast schon zu viel. Nicht selten war ich erstaunt, mit welchem Geschwindigkeiten man in Steinfelder reinfahren kann, ohne auch nur den Ansatz von Unsicherheit zu spüren.

Die Stärken des V10 liegen sicher in seiner Agilität. Gepaart mit dem schluckfreudigen Fahrwerk macht es vor allem auf ruppigen Strecken wie in Bad Wildbad eine gute Figur.
Wo das V10 etwas härter herangenommen werden will, ist in engen Kurven. Hier braucht es einiges an Kraft und Commitment. Aus diesem Grund und um häufige Pedalaufsetzer zu vermeiden, habe ich mich nach einige Testfahrten für das High-Setting entschieden und bin bis heute glücklich damit. Schnelle, offene Kurven durchfährt man wie auf Schienen.

Lockeres Freeriden wie hier auf der X-Line in Saalbach-Hinterglemm ist natürlich auch kein Problem
Solltet ihr ein verspieltes Bike suchen und eher auf Jump-Lines als auf rumpeligen DH-Strecken unterwegs, gibt es sicher passendere Angebote am Markt. Durch den hohen Negativfederweg benötigt man viel Kraft, bis das Bike in der Luft ist.
Das V10 ist ein Race Bike durch und durch. Es verlangt nach Kraft und Geschwindigkeit. Wird dieses Verlangen erfüllt, liefert es eine Performance, die derzeit wohl nur ganz wenige Bikes im Stande sind zu leisten.
Probleme:
Lediglich kleinere Mängel und Reparaturen waren im Laufe der Saison zu beanstanden:
Durch die dicken Kettenstreben läuft die Kette sehr nahe am Rahmen entlang. Fahrten über schnelle Steinpassagen bzw. Bremswellen quittiert das Bike deshalb mit einer entsprechenden Klangkulisse. Zwar befindet sich auf der Kettenstrebe ein gut verarbeiteter Gummiüberzug, jedoch fällt dieser relativ hart aus. Etwas Abhilfe konnte ich mit einem Provisorium Marke Eigenbau (=Schlauch als zusätzlicher Schutz) schaffen. Nichts desto trotz ist das Bike nicht leise.
Nach 1 Monat hatte der Hinterbau leicht Spiel im unteren Link. Ein Nachziehen der Hinterbauschrauben mit dem entsprechenden Drehmoment hat das Problem jedoch schnell und nachhaltig gelöst. Dank guter Wartungsdokumentation auf der Website von Santa Cruz, waren die Anzugsmomente schnell ausfindig gemacht.
Nach ca. 2 Monaten hat sich das untere Steuersatzlager verabschiedet (Ersatz ca. 20€)
Ansonsten fährt sich das Bike nach 5 Monaten und 80.000 Tiefenmetern wie am ersten Tag und hat keinerlei Ermüdungserscheinungen.

Fazit:
Muss es wirklich ein V10 sein? Ganz bestimmt nicht. Ein S-Klasse Coupé braucht allerdings auch niemand - aber es ist einfach geil. Die Wertanmutung des Bikes ist außergewöhnlich und die Fahreigenschaften sind über jeden Zweifel erhaben. Wenn ihr gerne schnell fahrt und nicht an jeder Kante abzieht, dann werdet ihr es schwer haben ein besseres Bike als das V10 zu finden.
In 2016 wird die minimal schwerere V10C Variante übrigens zu einem vergleichbar attraktiven Preis angeboten. Wenn ihr also nicht auf das letzte Gramm schaut oder unbedingt den Rahmen individuell aufbauen wollt, kriegt ihr hier den gleichen Fahrspaß für deutlich weniger Tränen in den Augen.
Setup (65kg Fahrergewicht):
Boxxer Worldcup: 70 psi, 3 Bottomless Tokens, 7 LSC
Vivid Air: High Setting, 145psi, 3 LSC, 5 ESR, 8BSR
Hier das Presenter-Video von Santa Cruz:
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